Auch wenn es nicht direkt Opel betrifft, so teile ich doch gerne den folgenden aktuellen Artikel im Spiegel:
Feinstaubfilter in Benzinmotoren
Die Verschwörung
Umweltschutz, Gesundheitsschutz? Heimlich verabredeten deutsche Autokonzerne offenbar über Jahre, bei Benzinautos keine Partikelfilter einzusetzen. Das legen Unterlagen nahe, die der SPIEGEL einsehen konnte. Von Frank Dohmen, Dietmar Hawranek
Das Treffen fand in Wolfsburg statt. Angereist waren Vertreter von Daimler, BMW, Audi und Porsche. Zusammen mit ihren Kollegen von Volkswagen trafen sich die sogenannten Antriebsleiter, jene Manager, die für den Einsatz aller Motoren in ihren Unternehmen verantwortlich waren. Konkurrenten eigentlich, gerade wenn es darum geht, einen Vorsprung durch Technik zu erlangen. Und wo könnte das ein Autohersteller besser als beim Antrieb, beim Motor, dem Herz eines Fahrzeugs?
Doch der Arbeitskreis Antrieb war eines jener Kartellgrüppchen, in denen die deutschen Hersteller über Jahrzehnte hinweg die Konkurrenz, zumindest auf einigen Feldern, ausschalteten. Er war ein Teil der Schattenwelt, in der die Konzerne heimlich miteinander mauschelten, während die Bosse im Scheinwerferlicht die segensreiche Wirkung des Wettbewerbs lobten. Der SPIEGEL enthüllte dieses Kartell vor einem Jahr (SPIEGEL 30/2017). Die EU-Kommission und das Bundeskartellamt ermitteln, ob die Unternehmen gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen haben. Bislang ging es dabei vor allem darum, dass sich die Autohersteller bei der Abgasreinigung bei Dieselmotoren abgesprochen hatten, etwa über die Größe der AdBlue-Tanks, die für das Minimieren von Stickoxiden wichtig sind.
Nun sind die Wettbewerbshüter auf einen weiteren Umweltskandal gestoßen, der die deutschen Autohersteller in einem hässlichen Licht zeigt. Es geht wieder um mögliche Absprachen, mit denen Daimler, BMW, Porsche, Audi und Volkswagen dafür sorgten, dass die Gesundheit von Millionen Menschen jahrelang unnötig gefährdet wurde. Diesmal jedoch steht nicht der Diesel im Mittelpunkt. Diesmal geht es um Benzinmotoren und den Feinstaub, den sie ausstoßen.
Der Fall zeigt eindrücklich: Die Dieselaffäre war kein Ausrutscher. Der gemeinschaftlich organisierte Kampf gegen Umweltauflagen gehörte offenbar zur Unternehmenskultur.
Feinstaub ist in Europa eine der größten Gesundheitsgefahren, die auf Umweltverschmutzung zurückzuführen sind. Er kann zu Schleimhautreizungen, Entzündungen der Atemwege, erhöhter Thromboseneigung bis hin zu Herz-Lungen-Krankheiten und Lungenkrebs führen. Verursacht wird Feinstaub vor allem durch Heizungsanlagen, Industrie und Autoverkehr. 2015 starben einer Studie des Umweltbundesamtes zufolge in Deutschland 41 500 Menschen vorzeitig, weil sie einer hohen Feinstaubbelastung in der Luft ausgesetzt waren.
Bei Autos können Partikelfilter den Ausstoß von Feinstaub reduzieren. Dieselmodelle werden schon seit Anfang des Jahrtausends mit solchen Filtern ausgerüstet. Seit 2014 sind sie Standard. Ihren Einsatz in Benzinmodellen aber wollten Daimler, BMW, Porsche, Audi und Volkswagen offenbar jahrelang verhindern. Darauf verständigten sich Manager der Marken auf zahlreichen Treffen ihrer Arbeitskreise.
Erstmals festgehalten haben die Antriebsleiter der Konzerne dies bei ihrer Sitzung am 18. Mai 2009 in Wolfsburg. Die Experten der fünf Hersteller fassten "folgende Beschlüsse", wie es im Protokoll der Sitzung heißt: "Der Einsatz eines Partikelfilters soll beim Ottomotor unbedingt vermieden werden." Und weiter: "Die Antriebsleiter unterstützen eine gemeinsame Vorgehensweise."
Die Konzernmanager verfolgten eine schlichte Strategie: Sie wollten die Einführung strenger Grenzwerte für Benziner so lange wie möglich verhindern. Und mit möglichst geringem Einsatz jene laschen Grenzwerte einhalten, die Benzinern einen zehnmal höheren Ausstoß an Feinstaub genehmigten als Dieselmodellen.
Ob es sich bei der Absprache, keine Partikelfilter einzusetzen, um einen Wettbewerbsverstoß oder auch um eine Ordnungswidrigkeit handelt, müssen nun die Ermittler klären. Auf jeden Fall aber war es eine Verschwörung gegen den Umwelt- und Gesundheitsschutz.
Mit einem frühzeitigen Einbau von Partikelfiltern bei Benzinmotoren hätten die Autokonzerne den gesundheitsschädlichen Feinstaub schon vor vielen Jahren deutlich verringern können. Hätten ihre eigenen Ansprüche wirklich im Vordergrund gestanden, hätten sie es auch tun müssen.
Denn an verbaler Umweltfreundlichkeit mangelte es den Autobossen ja nicht. Die Zitate lassen sich beinahe beliebig aus dem Archiv ziehen. Der langjährige BMW-Chef Norbert Reithofer versprach: "Wir wollen in Sachen Umweltverträglichkeit eine Vorreiterrolle einnehmen." Der damalige VW-Boss Martin Winterkorn sagte: "Wir wollen bis 2018 ökologisch führender Autobauer werden." Und Daimler-Boss Dieter Zetsche beschwor: "Unsere Autos sollen Weltmeister im ökologischen Fahren werden."
Vorreiter? Weltmeister? In der Praxis strebten die Autokonzerne augenscheinlich das Gegenteil an. Sie bremsten den Umwelt- und Gesundheitsschutz zumindest bei der Bekämpfung des Feinstaubs. Manager der fünf deutschen Marken vereinbarten, gemeinsam die neue Umwelttechnik, solange es geht, zu boykottieren. Damit sollte offenbar verhindert werden, dass einer aus der Runde sich eines Besseren besinnt, Umweltschutz als Wettbewerbsvorteil nutzt, seine Modelle mit Partikelfiltern ausstattet und mit dieser Technik erfolgreich um Kunden wirbt.
Dieses Verhalten der fünf Automarken verstößt möglicherweise gegen Wettbewerbsrecht. Mindestens ebenso schwer aber wiegt, dass die Absprachen in Sachen Partikelfilter die Glaubwürdigkeit der deutschen Autohersteller weiter erschüttern.
Die EU-Kommission wertet derzeit die Protokolle vieler Sitzungen, zahllose E-Mails und Schriftsätze der verschworenen fünf in Sachen Partikelfilter aus. Der SPIEGEL konnte Unterlagen einsehen, aus denen sich der verdeckte Kampf der Konzerne gegen den Filter rekonstruieren lässt.
Die Debatte um den Einsatz von Partikelfiltern begann im Jahr 2001. Damals stattete Peugeot erste Dieselfahrzeuge serienmäßig mit Partikelfiltern aus. Die Franzosen warben damit für ihre Modelle. Politiker forderten, dass angesichts der technischen Möglichkeiten die Grenzwerte für Feinstaub verschärft werden. Am 20. Juni 2007 verabschiedete die EU einen Fahrplan für die Reduzierung der Abgase und Feinstäube, der zwischen Diesel- und Benzinmotoren unterschied. Dieselmodelle sollten die Feinstaubemissionen von 2009 an schneller verringern. Es wurde aber bereits festgelegt, dass auch Benziner die Grenzwerte später einmal einhalten müssten.
Das Umweltbundesamt stellte in einer Studie fest, die Partikel aus modernen Benzinmotoren seien nicht weniger gefährlich als jene aus Dieselmodellen: "Es gibt keinen Grund, für einen direkteinspritzenden Ottomotor einen höheren Grenzwert zuzulassen als für einen Dieselmotor."
Die Diskussion wurde auch in den "5er-Kreisen" der deutschen Automarken geführt – allerdings mit anderem Vorzeichen. Die Konzerne wollten den Einsatz der Filter für Benziner verhindern. Aufwand und Kosten stünden in keinem Verhältnis zum Nutzen, lautete ihr Argument. Dabei kosten solche Filter nach Angaben von Verkehrsclubs wie dem VCD in der Anschaffung gerade einmal 40 bis 140 Euro.
Nachdem die Antriebsleiter von Daimler, BMW, Porsche, Audi und Volkswagen sich im Mai 2009 geeinigt hatten, bestätigten die hierarchisch übergeordneten Entwicklungsleiter der Konzerne kurz darauf die Boykottstrategie. Auf ihrem Treffen am 25. Juni 2009 beschlossen sie: "Das Ziel einer Vermeidung einer kostenintensiven Maßnahme wie Partikelfilter wird seitens der E-Leiter bestätigt."
Und sie gingen noch einen Schritt weiter. Die Automanager verabredeten ein Vorgehen, das bei drohenden Umweltauflagen schon oft erfolgreich gewesen war: Sie wollten Einfluss auf die politischen Entscheidungen nehmen. Damit sie den Filter nicht würden einbauen müssen, sollte der Grenzwert für Feinstaub bei Benzinern möglichst spät an den strengeren Wert für Dieselmodelle angeglichen werden. Die Entwicklungsleiter der Konzerne beschlossen: "Ein politisches Lobbying in Brüssel ... wird beauftragt."
Das Protokoll dieser Sitzung des 5er-Kreises offenbart die Grundeinstellung der beteiligten Automanager: Lobbying statt Umweltschutz.
Die öffentliche Diskussion über die Gefahren des Feinstaubs aber nahm Fahrt auf, vor allem, weil Benzinmodelle zunehmend mit Motoren ausgestattet wurden, die den Treibstoff mit hohem Druck einspritzen. Die sogenannten Direkteinspritzer haben den Vorteil, dass sie den Verbrauch und damit den CO2-Ausstoß verringern, aber den Nachteil, dass sie besonders viele ultrafeine Partikel ausstoßen. Diese sind besonders gefährlich, weil sie leicht in die Lungen geraten.
Außerdem lagern sich durch den Verbrennungsprozess weitere Stoffe wie das krebserregende Benzoapyren an den Partikeln an, stellten Wissenschaftler des Forschungsinstituts Empa in der Schweiz fest. So könnten "wie bei einem trojanischen Pferd flüssige oder feste chemische Gifte aus dem Verbrennungsprozess in den Blutkreislauf gelangen".
Die Autohersteller waren alarmiert. Ein Audi-Manager hielt am 26. Mai 2010 fest: "Partikelemissionen stehen im Fokus (neues Feindbild)". Später notierte er: "Anscheinend stürzen sich die Umweltverbände nach dem Diesel nun auf die Ottomotoren und wollen auch für diesen einen Partikelfilter durchboxen."
Aus den Dokumenten, die der EU-Kommission vorliegen, geht hervor, dass die Hersteller spätestens 2011 erkannten: Die von der EU für die Abgasnorm Euro 6 geplanten neuen Grenzwerte bei Benzinmodellen sind ohne Partikelfilter so gut wie nicht erreichbar. Eine VW-Mitarbeiterin fasste in einer Mail am 11. Februar 2011 die Diskussion mit den Konkurrenten zusammen: "Daimler hat gestern deutlich gesagt", dass sie die verschärften Grenzwerte "nur mit OPF" einhalten können. OPF ist das Kürzel für Ottomotoren-Partikel-Filter.
Umso wichtiger schien es den Herstellern, die Einführung der Grenzwerte zu verzögern. Ihr Argument erneut: Der Einbau der Filter würde die Kosten erhöhen.
Im Dezember 2011 hatte die jahrelange Lobbyarbeit, die auch von anderen europäischen Autoherstellern tatkräftig unterstützt wurde, Erfolg. Der Technische Ausschuss für Kraftfahrzeuge beschloss, dass Autos mit direkteinspritzenden Ottomotoren noch nicht die verschärften Dieselgrenzwerte einhalten müssen. Neu zugelassene Benzinmodelle müssen erst ab September 2018 denselben Grenzwert erreichen. Bis dahin dürfen Benziner zehnmal mehr Partikel als die Diesel in die Luft blasen.
Als das Datum 2018 feststand, wuchs bei Daimler, BMW, Porsche, Audi und Volkswagen die Furcht, dass einer der Ihren sich nicht mehr an das gemeinsam vereinbarte Vorgehen halten könnte. Zwar versicherten die Entwicklungsleiter bei ihren Treffen laut Protokoll: "Die weitere offene Zusammenarbeit zwischen Experten der Häuser wird durch die E-Leiter zugesichert." Aber ein Audi-Manager schrieb an seine Kollegen: "Wir alle kennen das Risiko, dass vielleicht doch ein Hersteller irgendwann mit einem Otto-Partikelfilter ins Rennen geht und die Thematik medienwirksam ausschlachtet."
Diese Mail verrät, was der Audi-Manager von der Marktwirtschaft hält: Ihr Kern, der Wettbewerb, ist ein "Risiko", das es zu minimieren gilt.
Über viele Jahre hinweg gelang dies den 5er-Kreisen von Daimler, BMW, Porsche, Audi und Volkswagen offenbar auch. Erst 2016 stattete Daimler in Europa in einem Modell der S-Klasse erstmals einen Benzinmotor mit einem Partikelfilter aus.
Die Hersteller wollen sich wegen der laufenden Ermittlungen zu Details nicht äußern. Daimler erklärt, es sei offen, ob die EU-Kommission ein "formelles Verfahren einleiten wird. Wir haben einen Kronzeugenantrag gestellt und kooperieren vollumfänglich mit den Behörden".
Gegenüber der EU argumentieren einige Hersteller, dass Beschlüsse in den Arbeitsgruppen nicht bindend gewesen seien und man unabhängig davon an Partikelfiltern gearbeitet habe. Außerdem seien auch andere Verfahren erprobt und angewandt worden, um Grenzwerte einzuhalten.
Offenbar mit wenig Erfolg. Wie dringend Benzinmodelle solche Filter benötigen, zeigte ein Eco-Test, den der ADAC im August 2016 veröffentlicht hat. Der Automobilclub hatte die Partikelemissionen von Benzinautos mit Direkteinspritzung ermittelt. Die Emissionen der Modelle lagen deutlich über den ab 2018 geltenden Grenzwerten. Fazit des ADAC: "Die Messungen zeigen auch, dass die Hersteller – wieder mal – die Ausnahmeregelung so lange wie möglich nutzen und nicht auf neueste Technik setzen, um niedrige Schadstoffemissionen zu erzielen."
In diesem Fall haben die Autokonzerne jedoch endgültig überzogen. So sehr, dass sich ihre jahrelange Abwehrstrategie nun sogar gegen sie selbst wendet.
Ab September dieses Jahres gelten neue Zulassungsregeln und Testverfahren der EU. Autos müssen dann den sogenannten WLTP-Test (Worldwide Harmonized Light-Duty Vehicles Test Procedure) bestehen. Er misst nicht nur den CO2-Ausstoß realistischer als die alten Tests. Mit ihm tritt auch die Norm Euro 6c in Kraft, die eine strengere Obergrenze für Feinstaubpartikel vorschreibt. Modelle mit Benzinmotor können sie meist nur mit Partikelfiltern einhalten. Auch weil die deutschen Autobauer den Einsatz dieser Filter jahrelang boykottiert haben, sind sie auf die Umstellung offenbar schlecht vorbereitet. Sie hatten wohl mit weiterem Aufschub gerechnet.
Daimler, BMW, Porsche, Audi und Volkswagen können viele Benzinmodelle derzeit nicht verkaufen, weil diese noch keine neue Zulassung haben. Bei BMW etwa sind es der X5 und der X6, bei Porsche der Cayenne oder der Macan. Mercedes-Benz hat Varianten von CLA und GLA mit Benzinmotoren aus dem Programm genommen. Besonders hart trifft es Volkswagen: Selbst bei den wichtigsten Modellen wie dem Passat sind nur einige Varianten des Ottomotors lieferbar. Volkswagen muss sogar die Produktion stoppen. Die Bänder laufen in manchen Werken nur an vier Tagen pro Woche.
Man könne so viele Tests in kurzer Zeit nicht bewältigen, klagen die Hersteller. Als hätten sie nicht seit Jahren gewusst, dass vom 1. September an der WLTP-Test und die strengeren Grenzwerte gefordert sind. Und als hätten sie ihre Modelle nicht schon vor Jahren mit Filtern ausstatten können.
Jetzt haben einige von ihnen sogar Probleme, genügend Partikelfilter zu beschaffen. Es gibt Lieferengpässe, die Preise steigen, weil Zulieferer von der starken Nachfrage überrollt werden.
VW-Manager gehen davon aus, dass den Konzernmarken Volkswagen, Audi und Porsche ein Umsatzausfall in Milliardenhöhe entsteht. Und möglicherweise kommt dann noch eine Strafe der EU-Wettbewerbskommission obendrauf, falls die fünf Hersteller mit ihren Absprachen gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen haben.
So betrachtet ist der Kampf der deutschen Autohersteller gegen den Partikelfilter ein Lehrstück. Versuche, den Wettbewerb auszuschalten, können kurzfristig Vorteile bringen. Die Abschlussrechnung aber kann teuer ausfallen.
Dieser Beitrag erschien zum ersten Mal in der SPIEGEL-Ausgabe 30/2018.